Im Internet gibt es Gravitation. Je größer die Masse, die um ein Webauftritt bzw. Webanwendung entsteht, desto mehr wird es zur Anziehungskraft für weitere Menschen. Für das „Dabeisein“ werden sogar ganze Informationskanäle aufgegeben. Aufgefallen ist es mir beim Webauftritt des Bistums Trier als mein Feed-Aggregator von heute auf morgen, kein Wort über meine Diözese zu berichten wusste. Wurde etwa die Presseabteilung auf einmal aufgelöst? Nein. Sie ist bloß dem Gesetz der großen Masse auf den Leim gegangen – besser bekannt unter dem Namen „Gravitation„. (Den Feed gibt es zum Glück wieder, aber unter einer anderen URL und nicht so Detailreich wie z.B. Facebook.)
Die Gravitation (auch Massenanziehung oder Schwerkraft genannt) ist ein physikalisches Gesetz. Dennoch ist es auf das Internet übertragbar. Youtube und Facebook sind zwei Repräsentanten dieser Anziehungskraft. Dagegen versucht eine Hand voll Internet-Aktivisten vorzugehen. Sie organisieren das Barcamp Decentralize, in dem um die Korrektur der Fehlentwicklung im Web geht. Ihre Aussage lautet: die Konzentration auf die wenigen Globalplayer macht das Internet, wie wir es kennen, kaputt.
Eine Monokultur ist in der Natur kontraproduktiv, weil langfristig sehr gefährdet. Biodiversität (ein Reichtum an Fauna und Flora) hält die Natur hingegen im Gleichgewicht. Das scheint auch auf das Internet zuzutreffen. Im folgenden sollen einige kritische Punkte dargestellt werden.
Herr über eigene Daten sein und bleiben
Wir verschenken Daten. Manchmal bewusst, manchmal unbewusst. Manchmal für eine Gegenleistung (wie bei Twitter, Facebook oder Google) und manchmal ohne etwas dafür zu bekommen. Unsere Händler haben sich von uns (durch die Bildung der großen Kundschaft) so weit entfernt, dass sie sogar bereit sind, uns mit Hilfe von RFID-Chips oder unter Nutzung unserer Handys auszuspionieren. Sie kennen uns nicht und versuchen, aus den Datenmaßen (Big Data) etwas Nutzbares zu prophezeien. Z.B. „Jung, männlich, Anfang 30, vermutlich keine Partnerin: der perfekte Typ für die Einblendung der Werbung einer Strip-Bar in der Nähe des vermuteten Wohnortes.“
Dabei handelt es sich um Metadaten über uns. Die andere Gruppe von Daten sind die Daten von uns: unsere Bilder, Texte, Adressen, Termine, Filme und Musik. Einiges davon abgelegt ohne weitere Überlegung in der Wolke. Was passiert, wenn das Konto gehackt wird und alle Daten gelöscht werden? Google & Co. lassen sich nicht zum Backup verpflichten. (Dafür muss man schon selber sorgen.) Und wenn sie es täten: Was passiert, wenn z.B. ein Staat wie die USA die Rückgabe von Daten an Sie gerichtlich untersagen würden? Lassen Sie sich keine Daten aus der Hand nehmen. Lagern sie auf fremden Servern nur das, worauf die verzichten können (Kopien, Belanglosigkeiten, Spielereien). Gegen Metadatensammler wie Facebook oder Google hilft dagegen so gut wie gar nichts: Ghostery, Nutzung mehrerer Browser und/oder Benutzerprofile, Anonymisierungs-Tools und -Proxys und datenschutzfreundliche Suchmaschinen.
Eigenes Image selber pflegen
„Facebook nutzen ist wie Fenster öffnen und zu den Passanten die Botschaft rufen. Nicht alle werden reagieren aber es werden mehr hören, als wenn man telefonieren würde.“ Dieser Ratschlag gehört zum Standard-Repertoire der Facebook-Evangelisten, die noch vor einigen Monaten durch die Lande zogen um Leichtgläubige zu diesem Netzwerk zu bekehren. Es kann sein, dass das Schreien aus dem Fenster mehr Menschen erreicht. Man weiß lediglich nicht, ob es in beabsichtigter Weise geschieht. (Vielleicht denken sich die Passanten: „Was ist denn das da für ein Idiot am Fenster?“).
Nicht nur die Wahrnehmung kann relevant sein. Auch die Steuerung (Reihenfolge, Zeitpunkt, Zusammenhang) der Erscheinungsweise will man in der Hand behalten. Das kann man nur auf der eigenen Webseite zuverlässig sicherstellen. Facebook und Google glauben, ihre Benutzer zu kennen und filtern schon vor oder verändern die Reihenfolge (priorisieren). Die Botschaft, die Sie loswerden wollten, geht unter. Oder sie ist umrahmt von unerwünschten Botschaften anderer Quellen, die ein solcher Dienst nach eigenem Gutdünken und Vorlieben des Benutzers zusammengestellt hat. Bekannt ist z.B., dass Facebook ein Test gestartet hat und durch eine Manipulation der Zusammenstellung die Stimmung des Benutzers verbessern – aber auch verschlechtern konnte. Es war alles durch die Allgemeinen Geschäftsbedingungen erlaubt. Die Verwendung Ihrer Eingaben (Texte, Links, Bilder) zu jeglichen Zwecken durch Facebook ist nach Angaben deutscher Medien ein Teil des Vertrages. Ihre Daten können von Facebook nach belieben verwendet werden! (Ob es dem „Besitzer“ gefällt oder nicht.) Das Löschen nach Facebook – nur nebenbei erwähnt – bedeutet, dass sie im Stream des Benutzers nicht mehr angezeigt werden. Die Daten verbleiben auf den Servern!
Die Erreichbarkeit
Va banque nennt man in einem Glücksspiel das Setzen des höchstmöglichen Einsatzes auf nur eine Gewinnoption. Das könnte man auch von denjenigen behaupten, die ihre ganze Kommunikation (mit Kunden, Geschäftspartnern, Freunden) auf nur einem Kanal aufbauen. Fällt dieser aus, ist alles verloren. Ein Ausfall kann den wirtschaftlichen Ruin verursachen. Es ist immer gesund, mehrere Kanäle zu bedienen. Ist die eigene Webseite nicht erreichbar, kann man über Facebook, Twitter, Google+ (oder auch GoogleMaps – Öffnungszeiten) zumindest Herr der Lage bleiben und die meisten Kunden über das geplante Vorgehen informieren.
Über das Publikum im Bilde sein
Nutzt man lediglich die großen Netzwerke, verzichtet man auf konkrete Aussagen zur Nutzung. Sie bekommen im besten Falle eine statistische Aussage über einen durchschnittlichen Leser der Posts. Im eigenen Shop, Blog, Portal findet man mit geeigneten Werkzeugen deutlich mehr. Die Großen wollen sich nicht in die Karten blicken lassen. Im Gegenteil. Sie wollen doch die (Meta-)Daten selber haben.
Fremde (Meta-)Daten schützen = Vertrauen Schaffen
Wenn jeder Betreiber, der ein Facebook-Widget (Fensterchen mit Likes der Follower) oder ein „Like-Button“ in seine Webseite einbinden wollte, um die Erlaubnis der Leser bitten müsste, würde er sicher das Ding abschalten. Alleine schon deshalb, weil zu Viele sich über diese Frage, die sie immer konsequent mit „nein“ beantworten, aufregen würden. Die Zwei-Klick-Lösung des heise-Verlags wäre ein guter Mittelweg. Auch bei der Wahl des CDN – Content Delivery Network für jQuery & Co. kann man die kostenpflichtige aber günstige Anbieter an Stelle der zentralen Metadatenstaubsauger wie Google, Facebook und mittlerweile auch Microsoft. Wo ich surfe, geht ja nur mich und die Inhalte-Anbieter was an – weder den Vater Staat noch die Mama oder die Oma. Stimmt’s?
Fazit
Es ist nicht gesund, wenn wenige Monopolisten über unser Netz verfügen. Das kleinere Problem ist die Datenhalde, die sie sich schaffen. Das größere ist die Macht, die diese anhäufen. Irgendwann wird nur derjenige im Netz präsent, der gut zahlt (Netzneutralität) und nicht derjenige, der gut und wahr informiert (Informationskrieg). Wir erschaffen Risiken, die wir vielleicht nie werden beherrschen können. Oder wie es der Papst-Emeritus so schön formulierte: „Nur tote Fische schwimmen mit dem Strom.“